Resüme: Schuljahr 2014/2015
Alevitischer Religionsunterricht in Österreich – ein Überblick und Resümee zum vergangenen Schuljahr 2014/2015.
Es war der 27. Jänner 2014: endlich wurden die Lehrpläne für den Alevitischen Religionsunterricht (ARU) im Pflichtschulbereich im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Der Religionsunterricht in Österreich ist durch das Religionsunterrichtsgesetz geregelt. Der Religionsunterricht ist ein Pflichtgegenstand für alle Schülerinnen und Schüler, die einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören. Der Religionsunterricht wird durch die betreffende gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft besorgt, geleitet und unmittelbar beaufsichtigt. Deshalb liegt die Erstellung der Lehrpläne in der Verantwortung der jeweiligen Religionsgesellschaft.
Die Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI) ist eine seit 22. Mai 2013 in Österreich staatlich anerkannte Religionsgesellschaft. Mit der Anerkennung hat die ALEVI das Recht an den öffentlichen Schulen in Österreich Religionsunterricht zu erteilen. Neben dem römisch-katholischen, evangelischen, orthodoxen, jüdischen, buddhistischen und islamischen (sunnitischen) Religionsunterricht konnte an den österreichischen Schulen mit der Anerkennung und den kundgemachten Lehrplänen nun auch der ARU angeboten werden.
Vom Stadtschulrat in Wien hieß es, dass die Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI) – eine seit 22. Mai 2013 gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft in Österreich – sofort mit dem Unterricht beginnen kann. Da es mitten im Schuljahr war, beschloss die ALEVI den Unterricht an einzelnen ausgewählten Schulen und Bundesländern zu beginnen: an jeweils einer Schule in den Bundesländern Tirol, Niederösterreich und Wien wurde der erste ARU verwirklicht.
Ab dem Schuljahr 2014/15 wurde der ARU in sechs Bundesländern angeboten: Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich, Niederösterreich, Wien und Burgenland. Zum Ende des diesjährigen Schuljahres betrug die Anzahl an Lehrkräften ca. 35 österreichweit. Für ihre Lehrtätigkeit an öffentlichen Schulen erhalten die Religionslehrer eine Vergütung von den zuständigen Gebietskörperschaften (Bund, Land). Rund 1200 Schülerinnen und Schüler haben den ARU im vergangenen Schuljahr besucht. Der ARU wurde österreichweit an rund 80 Schulen angeboten.
Die Erstellung der Lehrpläne für die Oberstufen Gymnasien und berufsbildende mittlere und höhere Schulen wurden am 27. April 2015 im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Deshalb konnten die Schülerinnen und Schüler in den betreffenden Schulstufen den ARU nicht in der Schule besuchen. Der Unterricht in diesen Schulstufen wird ab dem kommenden Schuljahr angeboten. Deshalb erwartet die ALEVI auf jeden Fall eine Erhöhung der Anzahl an Schülerinnen und Schüler.
Die Lehrpläne sind es auch, die den Inhalt des Unterrichts maßgeblich bestimmen. Sie sind der Rahmen für die Lehrerinnen und Lehrer. Die Lehrpläne sehen einen kompetenzorientierten, handlungsorientierten und ganzheitlichen ARU vor, in dessen Mittelpunkt die Schülerinnen und Schüler, mit ihrer Lebenswelt und ihren religiösen Erfahrungen, stehen. Da alle Schülerinnen und Schüler – egal welcher Schulstufe – auf dem schulischen Weg noch kein Vorwissen hatten, war es wichtig zuerst unsere Glaubensgrundlagen zu vermitteln.
Es fing an mit wer ist Ehl-i Beyt-Familie und welche Bedeutung hat sie für die Alevitinnen und Aleviten. Danach ging es weiter mit den 12 Imamen, damit im Anschluss gleich das Thema Muharrem-Fasten behandelt werden konnte. Um die Kinder auch alevitischen Gottesdienst, genannt Cem, der im Anschluss an die 12-tägige Trauerfastenzeit vorbereiten zu können, wurden in ganz Österreich Kinder-Cems organisiert und abgehalten. Das war eine wunderbare Erfahrung, zu sehen, wie diese kleinen Kinder ihre Gebete gesprochen haben und sich auf diese Erfahrung gefreut haben, einfach unbeschreiblich. Im ARU haben wir versucht, den Kindern beizubringen, was ein Cem ist, warum Alevitinnen und Aleviten einen Cem besuchen, wie ein Cem organisiert ist und wie sie sich auf einen Cem vorbereiten. Außerhalb des ARU haben wir Semah-Kurse angeboten. Das war im Großen und Ganzen das erste Schulhalbjahr.
Die Zeit ist einfach so schnell vergangen und die Kinder aber wurden immer hungriger nach Wissen. Da im Februar der Hizir-Monat ist und wir gemeinsam mit den Kindern ein Projekt gestartet hatten, liefen bereits vor den Semesterferien die Vorbereitungen für unser Hizir-Projekt „Helfen wie Hizir“ auf Hochtouren. Zuerst war es wichtig, überhaupt das Thema „Helfen“ mit den Schülerinnen und Schüler durchzunehmen, damit sie im Anschluss auch wissen, warum sie den syrisch-alevitischen Kindern helfen sollen. Das war das Ziel unseres Hizir-Projektes: die Schülerinnen und Schüler haben Spendengeschenke mit einem Brief für die Kinder in Syrien verschickt.
Sodann war der Hizir-Monat auch zu Ende und der Geburtstag von Hz. Ali nahte. Deshalb wurde Hz. Ali, seine Eigenschaften, seine Rolle und seine Bedeutung in unserem Glauben behandelt.
Kurz vor Hidir-Ellez haben wir mit den Schülerinnen und Schüler in der Schule das Thema „Achte auf deine Umwelt“ durchgenommen und im Rahmen einer Müllsammelaktion den Schülerinnen und Schüler praktisch nahe gebracht, dass jeder Verantwortung für die Schöpfung Gottes trägt.
Der Muttertag nahte und dies war eine perfekte Gelegenheit die Bedeutung und Rolle von Ana Fatma zu behandeln. So auch zum Vatertag. Hz. Muhammed und seine Rolle als Vater, Hz. Ali und seine Rolle als Vater wurden im Rahmen von Geschenken für die eigenen Mütter und Väter durchgenommen.
Und bald war das Schuljahr auch schon zu Ende: um das Thema Achtung vor der Schöpfung Gottes abzuschließen, wurde auch der Mensch als Teil der Schöpfung behandelt und dass es wichtig ist, auch auf sich selbst und seine Ernährung zu achten.
Rückblickend kann man durchaus sagen, dass viele wichtige Themen behandelt wurden, aber aus theologischer Sicht, diese nur angestreift wurden, wenn überhaupt. Aber für uns stand immer die Religiösität der Schülerinnen und Schüler im Vordergrund und dass sie gerne den ARU besuchen. Zu Beginn einer jeden Stunde wird mit den Schülerinnen und Schüler das Einvernehmen hergestellt (rizalik) und sollte es Streitereien und/oder Ungereimtheit geben, dann gibt es zu Beginn der Stunde die Möglichkeit diese zu schlichten. In den Kinder-Cems wissen dann die Schülerinnen und Schüler, warum rizalik so wichtig ist und warum es ein fester Bestandteil des ARU ist. Zum Ende einer Stunde verabschieden wir die Kinder dann mit einem alevitischen Segenspruch.
Wie ersichtlich wird, orientiert sich der Schuljahresplan am alevitischen Kalender. Es ist wichtig, dass gewisse Themen rechtzeitig aufgegriffen werden, um sie in den Alltag integrieren zu können. Und das was die Schülerinnen und Schüler in der Schule lernen, nehmen sie mit nach Hause und bringen es ihren Eltern bei. Die Eltern waren sehr positiv überrascht und haben immer wieder berichtet, wie viel sie selber noch nicht wussten und was sie alles mit ihren Kindern mitlernen. Insbesondere die Kinder-Cem’s hatten eine sehr breite Wirkung und wurden äußerst positiv angenommen.
Für die Zukunft erwarten wir uns, dass die Anzahl an Schülerinnen und Schüler steigen wird, da nicht nur die höheren Schulen hinzukommen, sondern auch seitens der Schulverwaltung mehr daran gesetzt wird, dass die Schulen einen zusätzlichen Unterricht nicht als Belastung, sondern als Bereicherung ansehen, insbesondere den ARU. In den höheren Schulen erwartet uns in den nächsten Jahre eine weitere besondere Herausforderung: die Maturafragen. Die Schülerinnen und Schüler im Gymnasium und in den berufsbildenden höheren Schulen haben die Möglichkeit den ARU als Maturafach zu wählen. Es erwartet uns eine spannende und intensive Arbeitszeit. Für unsere Projekte, wie z.B. das Hizir-Projekt haben wir uns vorgenommen, im Rahmen einer Spendengala die Aktion in einem größeren und breiteren Ausmaß zu verwirklichen. Dies ist auch für die Müllsammelaktion angedacht bzw. kann das Thema sehr gut für einen fächerübergreifenden Unterricht eingesetzt werden. Vielleicht mag es auf den ersten Blick erscheinen, als ob dies kleine Schritte wären. Aber hinter diesen Gedanken bzw. Vorhaben steckt sehr viel Arbeit und Einsatz. Für uns, die ALEVI, ist es unfassbar, was gerade passiert und passieren wird.
Außerhalb der Schule, aber im Bildungsbereich, arbeiten wir an einem Bachelorstudium für den Primarbereich. In Kooperation mit der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule haben wir ein Curriculum für das Bachelorstudium erarbeitet und können ab dem Wintersemester 2015/16 alevitische Religionslehrerinnen und Religionslehrer in eine renomierten Bildungsinstitut ausgebildet werden. Im Rahmen des Islamgesetz 2015 wird es ab 2016 für die ALEVI die Möglichkeit geben einen Lehrstuhl bzw. eine Professur mit einem Alevitischen Professor an der Uni Wien zu besetzen. Dieser wird im Rahmen eines alevitischen Theologiestudiums Geistliche und auch Nicht-Geistliche heranbilden.
Mag.a Yeliz YILDIRIM
ALEVI Bundesvorstand-Mitglied
Wien, 4. Sept. 2015
Foto: ALEVI